Artikel aus der Szbz, vom Dienstag 09.09.2008
Prügelei nach NPD-Veranstaltung
„Antifaschismus ist notwendig, nicht kriminell“ stand auf einem Transparent, das gestern Mittag vor dem Böblinger Amtsgericht entrollt wurde. Damit wandten sich die Demonstranten gegen den gestern beginnenden Prozess, indem sieben Angeklagten gefährliche Körperverletzung vorgeworfen wurde, weil sie nach einem NDP-Fest in der Sindelfinger Stadiongaststätte vier Rechtsextreme überfallen und verprügelt hätten – zum Teil mit einem Stock (die SZ/BZ berichtete).
Demo vor dem Gericht
In der Lesart der demonstrierenden Antifaschisten hätten die Stadt und der VfL Sindelfingen die so genannte Faschingsveranstaltung der NPD ermöglicht, die Polizei hätte darüberhinaus die Gegendemonstranten „schikaniert und daran gehindert, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen“. Und, so Frank Bach von der Roten Hilfe Stuttgart, einer bundesweiten linken Rechtshilfe-Organisation: „Zur Krönung der Provinzposse stehen nun auch noch ausgerechnet einige der Menschen vor Gericht, die versucht hatten, gegen die Veranstaltung der rassistischen Hetzer zu protestieren.“ Auch vor dem Böblinger Amtsgericht nahm die Polizei die Personalien der Redner auf. Nun soll geklärt werden, wie die Zusammenkunft der Demonstranten versammlungsrechtlich zu bewerten sei – ob es sich beispielsweise um eine spontane Versammlung oder eine nicht genehmigte Demonstration handelte.
So hatte es auch Richter Michael Kirbach im Gerichtssaal nicht ganz einfach, den üblichen Rahmen einer Gerichtsverhandlung aufrecht zu erhalten. An drei Besucher verhängte er eine Ordnungsstrafe in Höhe von 300 Euro – ersatzweise drei Tage Ordnungshaft, nachdem er sich mehrfach politische Kundgebungen verbeten hatte. „Ich dulde nicht, dass Sie den Gerichtssaal zu politischen Demonstrationen missbrauchen. Es geht hier nicht um Politik, sondern um gefährliche Körperverletzung.
Denn: Den sieben Angeklagten wird vorgeworfen, die von den Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude skandierte Parole „Für die Freiheit, für das Leben – Nazis von der Straße fegen“ recht wörtlich genommen zu haben. Die sieben – Arbeiter, Handwerker und Studenten im Alter von 24 bis 34 Jahren – wollten weder zu ihrer Person noch zu der vorgeworfenen Tat Angaben machen.
Rennicke statt Fasching
Ausgangspunkt war eine angebliche Faschingsveranstaltung der NPD am 16. Februar 2007 in der Sindelfinger Stadiongaststätte. Das Wort Fasching nahmen wohl auch die späteren Opfer nicht allzu wichtig, lediglich einer von ihnen sei, nach Aussage des Zeugen Sven K. (alle Namen geändert), mit einer Melone und einem Stöckchen verkleidet gewesen. Umso interessanter sei für ihn der rechtsextreme Liedermacher und Ex-Ehninger Frank Rennicke gewesen. Zum Auftritt des wegen Volksverhetzung verurteilten Sängers sagte der Zeuge Sebastian G.: „Nur wegen Rennicke bin ich ja hingegangen.“
Nachdem die fünf Besucher der rechtsextremen Veranstaltung das Lokal verlassen hatten und bei der ehemaligen Gaststätte Sirtaki, rund 200 Meter entfernt, in ihre Auto einsteigen wollten, wurden ihnen nach Erkenntnis der Staatsanwaltschaft von den Angeklagten aufgelauert, sie wurden angegriffen und es entspann sich eine kurze, aber heftige Prügelei. Die Angreifer seien teilweise mit Sturmhauben getarnt und mit einem Stock bewaffnet gewesen.
Die Zeugen Sven K. und Sebastian G. kamen dabei glimpflich davon. Neben Rötungen am Kinn und einem „Streiferle“ am Ohr nach Faustschlägen, hätten sie keine ernsthaften Blessuren davongetragen. Zwei weitere Zeugen mussten mehr einstecken: Einer hatte nach der Keilerei eine aufgeplatzte Lippe, ein anderer eine Platzwunde überm Auge. Ungeschoren kam der fünfte davon: Das NPD-Mitglied und ehemalige Funktionär Jannick F. gab Fersengeld und konnte durch ein herbeieilendes Polizeiauto seinen Verfolger abschütteln.
Polizeisperre umfahren
Nach dem Auftauchen der Polizei seien die Angeklagten, so die Anklageschrift, in zwei Pkw davon gefahren, hätten auf dem Gehweg ein quergestelltes Polizeiauto umfahren, rote Ampeln ignoriert und mit überhöhter Geschwindigkeit geflüchtet.
Wer zugeschlagen hatte und womit, wie viel Täter an der Keilerei überhaupt beteiligt waren, blieb gestern unbeantwortet. Dass sie von einer „Horde“ von sechs bis neun Personen angegriffen wurden, darin sind sich die Zeugen weitgehend einig. Doch wie viele sich an der Keilerei beteiligt hatten konnte nicht geklärt werden. Sven K. hatte sich nach eigenen Angaben zeitweise mit zwei Angreifern auseinanderzusetzen; Sebastian G. war mit einem beschäftigt und Jannick F. heftete sich ein Verfolger an die Fersen. Die beiden anderen Zeugen kamen nicht zur Gerichtsverhandlung. Unklar auch die Anzahl der Fluchtfahrzeuge. Dabei und auch zur Fahrzeugform machte Jannick F. andere Angaben als die Staatsanwaltschaft. Nach anderthalb Jahren war ihm nur noch ein fliehendes Auto in Erinnerung – und die hätte sicher ein Stufenheck besessen – was gegen den Golf und den Fiesta der Angeklagten spräche.
Der Prozess wird am 22. September mit der Aussage der Polizisten fortgesetzt.
Dienstag, 17. März 2009
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen