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Dienstag, 17. März 2009

SZBZ 9.09.08

Artikel aus der Szbz,‭ ‬vom Dienstag‭ ‬09.09.2008‭ ‬
Prügelei nach NPD-Veranstaltung‭ ‬


„Antifaschismus ist notwendig,‭ ‬nicht kriminell‭“ ‬stand auf einem Transparent,‭ ‬das gestern Mittag vor dem Böblinger Amtsgericht entrollt wurde.‭ ‬Damit wandten sich die Demonstranten gegen den gestern beginnenden Prozess,‭ ‬indem sieben Angeklagten gefährliche Körperverletzung vorgeworfen wurde,‭ ‬weil sie nach einem NDP-Fest in der Sindelfinger Stadiongaststätte vier Rechtsextreme überfallen und verprügelt hätten‭ – ‬zum Teil mit einem Stock‭ (‬die SZ/BZ berichtete‭)‬.‭

‬Demo vor dem Gericht‭

‬In der Lesart der demonstrierenden Antifaschisten hätten die Stadt und der VfL Sindelfingen die so genannte Faschingsveranstaltung der NPD ermöglicht,‭ ‬die Polizei hätte darüberhinaus die Gegendemonstranten‭ „‬schikaniert und daran gehindert,‭ ‬ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen‭“‬.‭ ‬Und,‭ ‬so Frank Bach von der Roten Hilfe Stuttgart,‭ ‬einer bundesweiten linken Rechtshilfe-Organisation:‭ „‬Zur Krönung der Provinzposse stehen nun auch noch ausgerechnet einige der Menschen vor Gericht,‭ ‬die versucht hatten,‭ ‬gegen die Veranstaltung der rassistischen Hetzer zu protestieren.‭“ ‬Auch vor dem Böblinger Amtsgericht nahm die Polizei die Personalien der Redner auf.‭ ‬Nun soll geklärt werden,‭ ‬wie die Zusammenkunft der Demonstranten versammlungsrechtlich zu bewerten sei‭ – ‬ob es sich beispielsweise um eine spontane Versammlung oder eine nicht genehmigte Demonstration handelte.‭

‬So hatte es auch Richter Michael Kirbach im Gerichtssaal nicht ganz einfach,‭ ‬den üblichen Rahmen einer Gerichtsverhandlung aufrecht zu erhalten.‭ ‬An drei Besucher verhängte er eine Ordnungsstrafe in Höhe von‭ ‬300‭ ‬Euro‭ – ‬ersatzweise drei Tage Ordnungshaft,‭ ‬nachdem er sich mehrfach politische Kundgebungen verbeten hatte.‭ „‬Ich dulde nicht,‭ ‬dass Sie den Gerichtssaal zu politischen Demonstrationen missbrauchen.‭ ‬Es geht hier nicht um Politik,‭ ‬sondern um gefährliche Körperverletzung.‭

‬Denn:‭ ‬Den sieben Angeklagten wird vorgeworfen,‭ ‬die von den Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude skandierte Parole‭ „‬Für die Freiheit,‭ ‬für das Leben‭ – ‬Nazis von der Straße fegen‭“ ‬recht wörtlich genommen zu haben.‭ ‬Die sieben‭ – ‬Arbeiter,‭ ‬Handwerker und Studenten im Alter von‭ ‬24‭ ‬bis‭ ‬34‭ ‬Jahren‭ – ‬wollten weder zu ihrer Person noch zu der vorgeworfenen Tat Angaben machen.‭

‬Rennicke statt Fasching‭

‬Ausgangspunkt war eine angebliche Faschingsveranstaltung der NPD am‭ ‬16.‭ ‬Februar‭ ‬2007‭ ‬in der Sindelfinger Stadiongaststätte.‭ ‬Das Wort Fasching nahmen wohl auch die späteren Opfer nicht allzu wichtig,‭ ‬lediglich einer von ihnen sei,‭ ‬nach Aussage des Zeugen Sven K.‭ (‬alle Namen geändert‭)‬,‭ ‬mit einer Melone und einem Stöckchen verkleidet gewesen.‭ ‬Umso interessanter sei für ihn der rechtsextreme Liedermacher und Ex-Ehninger Frank Rennicke gewesen.‭ ‬Zum Auftritt des wegen Volksverhetzung verurteilten Sängers sagte der Zeuge Sebastian G.:‭ „‬Nur wegen Rennicke bin ich ja hingegangen.‭“

‬Nachdem die fünf Besucher der rechtsextremen Veranstaltung das Lokal verlassen hatten und bei der ehemaligen Gaststätte Sirtaki,‭ ‬rund‭ ‬200‭ ‬Meter entfernt,‭ ‬in ihre Auto einsteigen wollten,‭ ‬wurden ihnen nach Erkenntnis der Staatsanwaltschaft von den Angeklagten aufgelauert,‭ ‬sie wurden angegriffen und es entspann sich eine kurze,‭ ‬aber heftige Prügelei.‭ ‬Die Angreifer seien teilweise mit Sturmhauben getarnt und mit einem Stock bewaffnet gewesen.‭

‬Die Zeugen Sven K.‭ ‬und Sebastian G.‭ ‬kamen dabei glimpflich davon.‭ ‬Neben Rötungen am Kinn und einem‭ „‬Streiferle‭“ ‬am Ohr nach Faustschlägen,‭ ‬hätten sie keine ernsthaften Blessuren davongetragen.‭ ‬Zwei weitere Zeugen mussten mehr einstecken:‭ ‬Einer hatte nach der Keilerei eine aufgeplatzte Lippe,‭ ‬ein anderer eine Platzwunde überm Auge.‭ ‬Ungeschoren kam der fünfte davon:‭ ‬Das NPD-Mitglied und ehemalige Funktionär Jannick F.‭ ‬gab Fersengeld und konnte durch ein herbeieilendes Polizeiauto seinen Verfolger abschütteln.‭

‬Polizeisperre umfahren‭

‬Nach dem Auftauchen der Polizei seien die Angeklagten,‭ ‬so die Anklageschrift,‭ ‬in zwei Pkw davon gefahren,‭ ‬hätten auf dem Gehweg ein quergestelltes Polizeiauto umfahren,‭ ‬rote Ampeln ignoriert und mit überhöhter Geschwindigkeit geflüchtet.‭

‬Wer zugeschlagen hatte und womit,‭ ‬wie viel Täter an der Keilerei überhaupt beteiligt waren,‭ ‬blieb gestern unbeantwortet.‭ ‬Dass sie von einer‭ „‬Horde‭“ ‬von sechs bis neun Personen angegriffen wurden,‭ ‬darin sind sich die Zeugen weitgehend einig.‭ ‬Doch wie viele sich an der Keilerei beteiligt hatten konnte nicht geklärt werden.‭ ‬Sven K.‭ ‬hatte sich nach eigenen Angaben zeitweise mit zwei Angreifern auseinanderzusetzen‭; ‬Sebastian G.‭ ‬war mit einem beschäftigt und Jannick F.‭ ‬heftete sich ein Verfolger an die Fersen.‭ ‬Die beiden anderen Zeugen kamen nicht zur Gerichtsverhandlung.‭ ‬Unklar auch die Anzahl der Fluchtfahrzeuge.‭ ‬Dabei und auch zur Fahrzeugform machte Jannick F.‭ ‬andere Angaben als die Staatsanwaltschaft.‭ ‬Nach anderthalb Jahren war ihm nur noch ein fliehendes Auto in Erinnerung‭ – ‬und die hätte sicher ein Stufenheck besessen‭ – ‬was gegen den Golf und den Fiesta der Angeklagten spräche.‭

‬Der Prozess wird am‭ ‬22.‭ ‬September mit der Aussage der Polizisten fortgesetzt.‭

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