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Donnerstag, 3. September 2009

Böblinger Bote 23.09.08

Tumulte im Amtsgericht nach Urteil im "Antifa"- Prozess
Sieben Angeklagte der Körperverletzung schuldig gesprochen - "Keine Beweise, aber Indizien"


Böblingen - Nach einem langen zweiten Verhandlungstag erging gestern Abend das Urteil im Prozess gegen sieben Stuttgarter, die im Februar 2007 in Sindelfingen fünf NPD- Anhänger verprügelt, haben sollen. Direkt nach der Verkündigung kam es im Saal des Amtsgerichts zu heftigen Tumulten.

Von Robert Krülle

"Das ist ein Skandal!", schrien einige Zuschauer und legten sich mit den Polizeibeamten an, die für Ordnung sorgen sollten. Es kam zu Rangeleien und Beschimpfungen. Sogar einer der frisch Verurteilten sprang auf und brüllte Richter Kirbach an: "Sie können doch nicht einfach wahllos Leute verurteilen." Und auch die sieben Verteidiger machten sofort deutlich, was sie von dem Urteil hielten. Richter Kirbach drohte mehrfach mit Ordnungsgeldern und der Saalräumung, bis schließlich doch noch Ruhe einkehrte.
"Es gibt keine Beweise", gab Kirbach in seiner Begründung zu, "aber Indizien." In der Gesamtschau gebe es für ihn keinen Zweifel daran, dass die sieben Angeklagten an jener Schlägerei beteiligt waren und sprach sie der gefährlichen Körperverletzung schuldig. Für drei der Angeklagten die aktuell noch Bewährungsstrafen laufen haben, verhängte Richter Kirbach 16- monatige Gefängnisstrafen und für die weiteren vier neun- und zehnmonatige Bewährungsstrafen mit Arbeits- und Geldauflagen, womit er nur leicht unter den Forderungen der Staatsanwältin blieb.
Rückblick: Im Februar 2007 hatte eine Faschingsveranstaltung der rechtsradikalen Partei NPD in der Sindelfinger Stadiongaststätte zahlreiche Demonstrationen und Aktionen der linkspolitischen Szene provoziert. In diesem Zusammenhang sollen die jetzt Verurteilten fünf NPD- Anhänger gegen 2 Uhr nachts aufgelauert und sie verprügelt haben. Anschließend flüchteten die mit waghalsigen Fahrmanövern vor der Polizei und wurden nach einer Hollywood- reifen Verfolgungsjagd gestellt.
Doch was sich beim Prozessbeginn vor zwei Wochen angedeutet hatte, dass die sieben Angeklagten definitiv beteiligt waren, blieben letztlich aus. Weder die fünf Opfer noch die zwei Zivilpolizisten, die die Schlägerei seinerzeit unterbrochen hatten, hatten einen der vermummten Prügler erkannt, genauso blieb deren Zahl unklar. Zudem wurden zwei sogenannte Sturmhauben, die der Vermummung dienen können, in der Nähe des Tatort gefunden, die laut einer DNA- Analyse definitiv nicht den Angeklagten gehörten. Außerdem hatten jene zwei Zivilpolizisten die flüchtenden Prügler zwar verfolgt, aber auch kurzfristig aus den Augen verloren - und dann die Verfolgung jener Autos aufgenommen, in denen die sieben gestern Verurteilten saßen.
Auf all diese Ungereimtheiten bauten die sieben Verteidiger ihre Plädoyers auf und forderten geschlossen Freispruch. Die Beweise würden nicht ausreichen, um die Angeklagten zu verurteilen, das Gesamtbild sei alles andere als lückenlos. Dass ihre Mandanten zum größten Teil keine Waisenknaben sind, konnten die Verteidiger dabei nicht bestreiten. Schließlich waren die meisten bis gestern bereits mehrfach vorbestraft, und außerdem hatte man in ihren Autos Schlagstöcke und Sturmhauben gefunden. "Doch diese Utensilien beweisen nicht die Tat", betonte einer der Verteidiger. Und selbst wenn jemand aus der Gruppe an der Schlägerei beteiligt gewesen sein sollte, seien andere womöglich unbeteiligt gewesen. "Und da nicht festzustellen ist, wer was gemacht hat, müssen Freisprüche erfolgen", hieß es von allen Seiten.
Gleichzeitig stellen die Verteidiger auch noch einmal den politischen Zusammenhang her, der den gesamten Prozess begleitet hatte. Der Widerstand gegen Rechtspopulismus sei nachvollziehbar, und dass sich die Angeklagten zweifelsfrei in der Nähe der NPD- Veranstaltung aufgehalten haben, dürfe nicht zu ihrer Verurteilung führen. "Sie können die Angeklagten deshalb nicht in Sippenhaft nehmen", betonte Verteidiger Rothbauer.
Richter Kirbach blieb reichlich unbeeindruckt. "Die Angeklagten hatten von Anfang an vor, den NPDlern eine Lektion zu erteilen", sagte er, "für mich gibt es da keine Zweifel."

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